Gedanken von kirchlicher Seite zum diesjährigen Volkstrauertag
Ursprünglich wurde der Volkstrauertag im Jahre 1920 vom Volksbund Deutscher Kriegsgräberfürsorge eingeführt, um an die Millionen Toten des Ersten Weltkrieges zu erinnern.
In seiner ursprünglichen Form stand der Tag also für die Trauer, für die Erinnerung an das Leid des 1. Weltkrieges, zum Gedenken an die Opfer dieses furchtbaren Krieges und für die Mahnung, dass so etwas nie wieder bei uns geschehen solle.
Aber dem war nicht so! Im Gegenteil!
Keine 20 Jahre später geschah bei uns noch viel Furchtbareres und Grauenvolleres als Folge von Kriegsverherrlichung und Völkerhass.
Im Jahre 1952 wurde der Volkstrauertag dann zum nationalen Trauertag erklärt.
Er ist damit ein ganz wichtiger Bestandteil unserer deutschen Erinnerungskultur, die unser aller Respekt verdient im Blick auf das Gedenken an die Opfer von Kriegen, Gewaltherrschaft und Terrorismus bei uns und mittlerweile auch darüber hinaus überall auf unserer Welt.
Gedenken und zugleich immerwährende Mahnung dazu, alles in unseren Möglichkeiten Stehende zu unternehmen gegen jegliche Saat und Kultivierung von Samen des Hasses, der Ausgrenzung, der Fremdenfeindlichkeit, des Antisemitismus bei uns und über unsere Grenzen hinaus.
Diesen Respekt vor unserer deutschen Erinnerungskultur mit all dem, was sie beinhaltet an Erringung und an Mahnung, dürfen, ja müssen wir von allen unseren Mitmenschen erwarten, die mit uns in der Bundesrepublik Deutschland leben.
Und wir tragen durch unser offenes und eindeutiges Eintreten für diese Erinnerungskultur Verantwortung dafür, diesen Respekt auch denen bewusst zu machen, die aus welchen Gründen auch immer zu uns kommen, um hier bei uns und mit uns zu leben.
Die immerwährende Erinnerung an die schlimmen Erfahrungen in unserer deutschen Vergangenheit, die sich damals oft ganz unscheinbar eingeschlichen und dann aber ohne den dafür notwendigen Widerstand aus der Bevölkerung zu wahren Monstern entwickelt haben, ruft uns zur Wachsamkeit auf, und das ganz besonders in diesen Tagen.
Der Respekt vor dieser Erinnerungskultur gibt uns die Einsicht und die Kraft, uns bewusst gegen solche Anfänge bei uns zu stellen, sie öffentlich zu machen, sie zu denunzieren und gegen sie gegebenenfalls auch auf die Straße zu gehen.
Damit wir später nicht einmal wie damals im Jahre 1945 im Stuttgarter Schuldbekenntnis der EKD bestätigend bekennen müssen:
Wir klagen uns an, dass wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt haben.
Und noch ein zweiter aktueller Gedanke zum Volkstrauertag:
Er ist ja entstanden aus dem erklärten Wunsch heraus, dass nie wieder Krieg von Deutschland ausgehen solle.
Ich selber habe in den 80-er-Jahren für den Slogan „Frieden schaffen ohne Waffen“ demonstriert und auch gegen die Macht der Rüstungsindustrie in unserem Land. Ich habe Kriegsdienstverweigerer zu ihren Verfahren begleitet, habe mich auf diesem Weg bestätigt gefühlt, als die allgemeine Wehrpflicht bei uns abgeschafft worden ist und habe für die Aussöhnungspolitik Willy Brandts mit dem Osten gestimmt.
Aber spätestens seit dem furchtbaren Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine und den menschenverachtenden Aggressionen im Gazastreifen und im Sudan muss ich erschüttert feststellen, dass meine Friedensideale nicht mehr mit der Realität, in der wir leben, in Einklang zu bringen sind. Ich will sie nicht aufgeben, diese Friedensideale, aber die Realität zwingt mich dazu, Gedanken bei mir zuzulassen, die ich bisher für mich zu denken nie für möglich gehalten hätte. Dass ich plötzlich etwas zu befürworten lernte, was für mich bis dahin undenkbar war: Waffen aus Deutschland an die Ukraine zu liefern, damit diese sich gegen ihren Aggressor wehren, verteidigen kann.
Passt solch eine derart veränderte grundsätzliche Einstellung denn noch zur „Erinnerungskultur des Volkstrauertages“?
Am vergangenen Montag wurde die neue Friedensdenkschrift der EKD veröffentlicht, die sich auf den Weg begeben hat, dieser neuen Realität, in der wir leben, gerecht zu werden. Die deutlich macht: Die evang. Friedensethik befindet sich in einem Prozess der Neuorientierung.
Befragt zu dem von mir angesprochenen Dilemma „Deutsche Waffen für die Ukraine“ äußerte sich die Ratsvorsitzende Kirsten Fehrs folgendermaßen (BZ vom 10.11.25 S. 2):
„Es bleibt ein Gebot der Nächstenliebe, dass wir Menschen, die an Leib und Leben und in ihrer Würde bedroht sind, nicht schutzlos der Gewalt ausgesetzt lassen. Um diesen Schutz zu ermöglichen, kann als letztes Mittel der Einsatz von militärischer Gegengewalt zur Verhinderung von schlimmerer Gewalt und der Wiederherstellung von friedlichen Verhältnissen erforderlich sein.“
Und wenig später:
„Grundlegend für unsere Friedensethik ist und bleibt die Nichtanwendung von Gewalt. …..Zugleich darf christliche Friedensethik nicht ihre Augen vor der Realität verschließen.
Rechtserhaltende Gewalt zur Verteidigung einzusetzen, ist die Ultima Ratio – unter strikter Wahrung des wichtigsten und einzigen Ziels, des Friedens! Bei ihrem Einsatz wird der Mensch schuldig gegenüber Gott und seinen Mitmenschen. Er wird es aber auch dann, wenn er Menschen schutzlos der Gewalt überlässt.“
Dies gilt es beim Volkstrauertag eben auch mitzuerinnern.
Schließen möchte ich meine Gedanken zum Volkstrauertag mit einem Gebet:
Du Gott Abrahams, Ibrahims und Jesu,
vor dir gedenken wir der vielen Millionen Opfer von Kriegen, Gewaltherrschaft und Terrorismus bei uns und weltweit und ihrer Angehörigen.
Unentschuldbares Leid wurde und wird auch gerade jetzt von Mitmenschen ihren und unseren Mitmenschen angetan.
Oft fühlen wir uns angesichts dieses Leids und dieses Leidens ohnmächtig und drohen, davor zu resignieren.
Wir bitten dich:
gib uns in diesen schweren Zeiten Mut, Kraft und Zuversicht, Verantwortung zu übernehmen füreinander;
stärke in uns den Geist der Liebe und des Friedens,
der uns miteinander über die Grenzen von Nationen, Kulturen und Religionen hinweg zu verbinden vermag.
Nur als Gemeinschaft der Willigen werden wir den Lauf unserer Welt beeinflussen können hin zu einem friedlicheren, die Würde eines jeden Menschen achtenden und verteidigenden Miteinander weltweit.
Hilf uns, menschenverachtender Gewalt und Grausamkeit in geeigneter Weise überall und jederzeit Widerstand zu leisten – im Kleinen wie im Großen.
Dir befehlen wir all die vielen Menschen an, die unter Krieg, Unterdrückung, Vertreibung, unmenschlichen Lebensumständen und unter Hoffnungslosigkeit leiden.
Dass sie Wege finden heraus aus ihrer Auswegslosigkeit – auch durch uns.
Darum bitten wir dich – von ganzem Herzen.
Amen
