Szenische Predigt zur Heilung des Kranken am See Bethesda Johannes 5, 1-9
(Die Texte wurden verfasst von den Konfis des Jahrgangs 2014 der Stadtkirchengemeinde Emmendingen, von Pfr. G. Metzger überarbeitet und von den Konfis dann in ihrem „Prüfungsgottesdienst“ vorgetragen. Die große Zahl von Szenen und Texten hängt damit zusammen, dass die Gruppe sehr groß war und alle sich mit ihren Ideen an der Bearbeitung des Predigttextes beteiligen wollten.)
Lesung Johannes 5,1-9
Danach war ein Fest der Juden, und Jesus zog hinauf nach Jerusalem. Es ist aber in Jerusalem beim Schaftor ein Teich, der heißt auf Hebräisch Bethesda. Dort sind fünf Hallen; in denen lagen viele Kranke, Blinde, Lahme, Ausgezehrte. Sie warteten darauf, dass sich das Wasser bewegte. Denn der Engel des Herrn fuhr von Zeit zu Zeit herab in den Teich und bewegte das Wasser. Wer nun zuerst hinein stieg, nachdem sich das Wasser bewegt hatte, der wurde gesund, an welcher Krankheit er auch litt. Es war aber dort ein Mensch, der lag achtunddreißig Jahre krank. Als Jesus den liegen sah und vernahm, dass er schon so lange gelegen hatte, spricht er zu ihm: Willst du gesund werden? Der Kranke antwortete ihm: Herr, ich habe keinen Menschen, der mich in den Teich bringt, wenn das Wasser sich bewegt; wenn ich aber hinkomme, so steigt ein anderer vor mir hinein. Jesus spricht zu ihm: Steh auf, nimm dein Bett und geh hin! Und sogleich wurde der Mensch gesund und nahm sein Bett und ging hin.
Es war aber an dem Tag Sabbat.
Zeitungs-Artikel
Jerusalem Times – Sensationelle Heilung oder Betrug?
Gestern wurde nach Augenzeugenberichten am Teich von Bethesda ein Mann namens Michael geheilt, der angeblich seit 38 Jahren gelähmt war. Wie es weiter hieß, soll daran der in Jerusalem eher als Hochstapler bekannte Wanderprediger und Wunderheiler Jesus von Nazareth beteiligt gewesen sein. Er habe, so wird behauptet, jedoch lediglich mit dem Kranken gesprochen, der sich daraufhin von seinem Lager erhoben und leicht schwankend die Halle verlassen habe. Nach Rückfragen unseres Korrespondenten beim Hohenpriester Kaiphas ließ dieser verlauten, er verurteile diese Form von Effekthascherei durch Jesus, zumal da dies alles an einem Sabbat geschehen sei. Darüber hinaus warnte er die Bevölkerung dringend davor, sich mit diesem Jesus einzulassen.
Brief von Michael an seine Schwester
Lieber Miriam,
ich hoffe, es geht Dir den Umständen entsprechend gut und Deine Krankheit hat sich nicht noch mehr verschlechtert. Gerne hätte ich Dich besucht, aber wie Du ja weißt, bin ich seit 38 Jahren gelähmt und liege seitdem hauptsächlich in einer der Hallen vom Teich Bethesda, in der ich mehr schlecht als recht versorgt und betreut werde.
Und wenn ich Dir jetzt erzähle, was mir letzte Woche passiert ist, dann wirst Du mir das kaum glauben, doch es ist wahr.
Am besten, ich erzähle Dir von Anfang an:
Es war ein ganz gewöhnlicher Morgen, so wie immer, als ein Mann an mein Bett trat und mich fragte, ob ich gesund werden wolle. Im ersten Moment verstand ich nicht, was er mit dieser Frage meinte, denn es war doch offensichtlich, dass ich unheilbar krank bin. Dann antwortete ich ihm, dass ich keinen Menschen hätte, der mich an den Teich bringen würde, wenn dieser sich bewegt hatte. Es heißt nämlich, dass der erste, der nach einer solchen Wasserbewegung in den Teich steigen würde, gesund würde. Darauf erwiderte er mir nur, ich solle meine Matte nehmen und heimgehen. Ich war total perplex und sprang verdutzt auf und wollte tun, wie er mich geheißen hatte, bis mir plötzlich auffiel, dass ich seit 38 Jahren zum ersten Mal wieder auf eigenen Füßen stand. Du kannst Dir gar nicht vorstellen, wie unglaublich glücklich mich das gemacht hat. Als ich mich bei dem unbekannten Fremden bedanken wollte, war dieser bereits verschwunden.
Ich hoffe nun, Dich bald besuchen zu können. Dann kann ich Dich endlich einmal wiedersehen und Dich pflegen und Dir im Haushalt behilflich sein.
Bis bald! In Liebe Dein Bruder Michael
Interview mit zwei Ex-Kranken
1 Guten Tag! Mein Name ist Selina (1) und das ist meine Kollegin Hannah (2). Zum Thema „Heilung von Gelähmten – Wunder oder Betrug“ haben wir heute zwei Menschen bei uns, die einmal gelähmt waren. Außerdem werden wir uns mit Frau Professorin Dr. Gertrud Weiß, einer ausgewiesenen Expertin auf diesem Gebiet, über diesen recht außergewöhnlichen Vorfall unterhalten.
2 Vor einigen Wochen überraschte uns eine außergewöhnliche Nachricht aus Jerusalem: Ein Langzeit-Gelähmter wurde dort von einem unbekannten Mann, der unmittelbar nach dieser Aktion verschwand, auf unerklärliche Weise, es heißt, nur mit wenigen Worten, geheilt. Eigentlich heißt es, dass man dort nur durch ein Wunder geheilt werden könne, wenn man in einer ganz bestimmten Situation ins Wasser der Zisterne steigen würde.
1 Michael, Sie sind dieser Mann. Bitte erzählen Sie uns doch einmal aus Ihrer Perspektive, was da passiert ist.
M Also ich war schon seit 38 Jahren vom Bauch abwärts gelähmt und konnte mich in dieser Zeit nicht selbstständig fortbewegen. Deshalb hatten sie mich damals nach Bethesda gebracht, wo ich seither mehr schlecht als recht versorgt wurde. Die Hoffnung, wieder gesund werden zu können, hatte ich längst aufgegeben. Nur noch ein Wunder hätte mich retten können. Aber ich schaffte es ja nie, rechtzeitig ins Wasser zu kommen, weil mir niemand dabei helfen wollte. Alle Kranken dachten ja nur an sich selbst. Kann ich ihnen ja auch nicht verdenken. Da ist sich halt jeder selbst der Nächste.
2 Ok, aber was ist dann passiert?
M Dann stand plötzlich dieser Fremde vor mir, fragte mich, – was für eine blöde Frage! – ob ich gesund werden wolle. Ich habe ihm dann gesagt, dass ich niemanden habe, der mich zum Wasser bringt, wenn es sich bewegt. Ich hoffte, dass er vielleicht dazu bereit wäre. Stattdessen sagte er zu mir, ich solle aufstehen, meine Matte nehmen und heimgehen. Echt verrückt! Aber dann dachte ich, probieren kannst du es ja wenigstens. Ich versuchte, aufzustehen und es klappte tatsächlich. Als ich dann wirklich auf meinen beiden Beinen stand, konnte ich es kaum glauben. Als ich mich bei ihm bedanken wollte, war er schon nicht mehr da.
W Entschuldigen Sie, dass ich Sie hier unterbreche. Aber medizinisch gesehen ist das unmöglich, nur mit Worten einen Menschen gesund zu machen. Das war nie möglich, und wird auch nie möglich sein.
2 Aber medizinisch gesehen müsste es doch auch unmöglich sein, gesund zu werden, wenn man in eine Zisterne steigt.
S Das dachte ich damals auch, als man mich aufforderte, gleich, wenn das Wasser sich bewegt, in die Zisterne zu steigen, weil da ein Engel das Wasser berühren und mit Wunderkraft für den ersten, der da hinein steigt, ausstatten würde.
W Das ist auch so ein Ammenmärchen!
S Wie Sie meinen! Aber als es mir dann tatsächlich einmal gelang und bereits im Wasser mich wieder ohne Einschränkungen bewegen konnte, konnte ich es zunächst auch nicht glauben. Aber wie man sieht: Es funktioniert!
W Ich kann mir das beim besten Willen nicht vorstellen!
1 Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass wir zwei Menschen bei uns haben, die bezeugen können, dass es Wunder gibt.
2 Gott sei Dank gibt es Wunder! Wir machen nun eine kurze Werbeunterbrechung und sehen uns danach wieder. Bis dann!
Bericht des Priesters Hanuel an den Hohenpriester Kaiphas
Werter Hoher Priester Kaiphas,
hiermit möchte ich eine erneute Beschwerde über Jesus von Nazareth, der seit Monaten als Wanderprediger und Wunderheiler in der Region sein Unwesen treibt, bei Ihnen einreichen.
Wie wir durch eine vertrauenswürdige Informationsquelle erfahren haben, hat Jesus am letzten Wochenende mehrfach gegen das Sabbat-Gebot verstoßen, indem er unter Anderem am Sabbat geheilt hat.
Das geschah nahe der Zisterne von Bethesda, wo seit Alters die Kranken Jerusalems zu Massen lagern. Dort hat er, wie behauptet wird, einen Gelähmten geheilt.
Zwar hat dieser Mann schon seit 38 Jahren auf seine Heilung gewartet, gleichwohl hätte Jesus sich mit seiner Aktion ja wenigstens Zeit lassen können, bis der Sabbat vorbei war. Wer 38 Jahre wartet, kann auch noch einen Tag länger warten!
Später hat Jesus dann diesen Mann sogar noch dazu ermutigt, am Sabbat zu arbeiten, indem er ihn dazu aufforderte, seine Matte zusammenzurollen und sie nach Hause zu tragen. Er hat also nicht nur selbst den Sabbat gebrochen, sondern außerdem auch noch diesen Mann dazu verleitet, den Sabbat zu brechen. Denn am Sabbat darf man weder heilen noch Wohnungsinventar herum transportieren!
Ich finde, diesem Jesus müssen endlich einmal die Grenzen aufgezeigt werden, er muss bestraft werden, andernfalls besteht die Gefahr, dass die Bevölkerung das Sabbatgebot auch nicht mehr ernst nimmt. Wollen Sie das zulassen?
Jeder andere, der sich so verhält, würde dafür streng bestraft werden. Soll er wirklich ohne etwas davonkommen?
Bitte teilen Sie uns mit, wie wir weiter vorgehen sollen.
Es ist höchste Zeit, dass wir da endlich reagieren!
Schalom!
Hanuel, Priester im Bethesda-Bezirk
Gespräch auf dem Markt
Sprecher: Auf dem Markt in Jerusalem gesellen sich die Marktbesucher Josef und Jeremia zu den drei Marktfrauen Sara, Theresa und Maria, die miteinander ganz aufgeregt ins Gespräch vertieft sind.
S: Habt Ihr schon mitbekommen, dass Michael gestern von einem Unbekannten geheilt worden ist?
M: Ja, das habe ich auch schon gehört. Meine Nachbarin hat mir gestern Abend davon erzählt.
T: Ich finde nur komisch, dass Michael nichts zu dem Aussehen des Unbekannten sagen kann – oder will!
Jo: Worüber redet Ihr den überhaupt?
S: Von dem gelähmten Michael, dass er gestern geheilt wurde.
Je: Lag der nicht schon seit vielen, vielen Jahren, – ich glaube fast 40 Jahre – krank am Teich Bethesda?
M: Genau der! Glaubt Ihr, diese verrückte Geschichte stimmt wirklich?
T: Also wenn Du mich fragst: Nein! An der Geschichte ist was faul!
S: Meint Ihr etwa, Michael lügt?
Je: Ich denke schon! Man kann nach 38 Jahren, in denen man gelähmt war, ja nicht so einfach wieder aufstehen und loslaufen! Das machen die Muskeln ja gar nicht mit!
M: Ich finde das Ganze auch ziemlich komisch!
Jo: Also ich glaube schon, dass die Geschichte wahr ist. Denn immerhin, so habe ich gehört, sei diese Heilung ja beobachtet worden. Es gibt also auch Augenzeugen dafür!
T.: Ich weiß nicht! Mal sehen, wie das Ganze noch weitergeht!
Jo: Ja, aber ich muss jetzt weiter! Meine Frau wartet auf den Fisch und hat mir gesagt, ich soll mich beeilen und nicht wieder beim Schwätzen hängenbleiben wie beim letzten Mal. Also Tschüss bis zum nächsten Mal!
Alle: Tschüüüüss …
Interview mit dem Bettnachbar
I: Hallo Simon.
S: Hallo, dürfte ich fragen, warum Sie mich besuchen kommen?
I: Ja gerne! Wir haben mitbekommen, dass vor ein paar Tagen Ihr Bettnachbar nach 38 Jahren Krankheit geheilt worden ist.
S: Joahh… Da war ein Mann, ich glaube, es war dieser Jesus von Nazareth. Der kam zu Michael und er hat ihm irgendwas gesagt. Ich habe es nicht verstanden. Auf jeden Fall ist Michael dann einfach aufgestanden und gegangen. Ich habe wirklich keine Ahnung, warum! Der liegt, so hieß es, – ich bin ja erst seit kurzem hier! – seit 38 Jahren im Krankenhaus und dann läuft der einfach weg. Ich könnt mich so was von darüber aufregen. Der hat doch bestimmt simuliert. Worüber ich mich aber am meisten aufrege: dass er einfach so sein Bett mit nimmt und verschwindet, ohne was zu sagen und ohne sich von uns zu verabschieden. Für uns alle hier war das eine Provokation.
I: Kann es sein, dass sie es Michael nicht gönnen, dass er geheilt wurde?
S: Wer sagt denn, dass er geheilt wurde! Eine Lähmung, die 38 Jahre anhält, kann man nicht einfach so heilen. Die einzige Möglichkeit, geheilt zu werden, ist, zum richtigen Zeitpunkt in den Teich zu gehen.
I: Sind sie sich da sicher?
S: Ja hundert pro! Aber selbst wenn er von Jesus tatsächlich geheilt wurde, weshalb hat der dann nicht gleich auch mich geheilt? Das ist doch ungerecht, oder nicht?!
I: Ich weiß es auch nicht.
S: Wenn Sie es nicht wissen, wer soll es dann wissen?
I: Jesus vielleicht.
TALKSHOW
(Moderator Michael Jude, Priester, Arzt)
M Guten Tag und herzlich Willkommen zu unserer heutigen Talkshow. Als besonderen Gast in unserer Runde begrüße ich den werten Herrn Jesus, der ja gestern für Gesprächsstoff gesorgt hat, weil er die heiligen Regeln des Sabbats gebrochen hat, indem er offensichtlich den kranken Michael am Sabbat geheilt hat und ihn dann sogar noch aufforderte, seine Matte zu nehmen und nach Hause zu tragen. Aber zunächst einmal möchte ich Ihre Meinung hören, Nathan. Sie waren ja Augenzeuge dessen, was da gestern passiert ist.
Na Ja, guten Tag! Also um es gleich einmal klar und deutlich zu sagen: Ich finde es auf jeden Fall gottlos und unverschämt, wie Du, Jesus, ohne Not das Sabbatgebot gebrochen hast, und das gleich zweimal. Meines Wissens saß dieser Mann schon 38 Jahre am Teich, da hätte ein Tag länger auch nichts ausgemacht und dann hättest Du ihn immer noch heilen können. Aber ausgerechnet am Sabbat. Das tut man doch nicht! Und dann ihn auch noch seine Matte heim tragen lassen. Das ist doch Arbeit! Und das ist am Sabbat verboten. Haben Dir das Deine Eltern nicht beigebracht?
M Was meinen Sie dazu, Herr Jesus?
Je Liebe Brüder! Das letzte, was ich mir vorstellen könnte, wäre es, den Willen meines Vaters im Himmel zu verletzen. Aber wenn es um das Leben eines hilflosen Menschen geht, dann kann es nicht sein Wille sein, ihm nur deshalb nicht zu helfen, weil gerade Sabbat ist. Der Sabbat ist um des Menschen Willen da und nicht der Mensch um des Sabbat willen. Außerdem habe ich gar nichts gearbeitet. Ich habe ihm ja nur gesagt, er solle aufstehen. Und das hat er dann auch gemacht. Seit wann sind Worte am Sabbat verboten?!
Na Aber Du hast ihm doch gesagt, er solle sein Matte nach Hause tragen!
Je Hätte er sie liegenlassen sollten? Dann wäre sie am Tag später vielleicht weg gewesen oder von einem anderen Kranken besetzt. Außerdem brauchte er sie doch daheim! Wo hätte er sich denn sonst drauflegen können? Weißt Du, die Gebote Gottes wollen menschliches Leben erleichtern und nicht verhindern!
P Aber es gibt doch Regeln, die man einhalten muss! Also ich schließe mich ganz klar diesem Herrn da an. Ich halte es für verantwortungslos, einfach so nach Gutdünken heilige Regeln zu brechen. Du bist doch Lehrer und hättest das wissen müssen. Hättest Du nur einen Tag gewartet, dann hätten wir jetzt nicht dieses Problem!
M Unter uns befindet sich auch der Arzt, der Michael die letzten Jahre hindurch betreute. Wie beurteilen Sie denn seinen damaligen Zustand?
A (Räusper) Der gesundheitliche Zustand dieses Mannes war sehr instabil. Meines Erachtens hätten schon sehr bald seine Medikamente nicht mehr angeschlagen. Es war nur eine Frage von Wochen oder vielleicht sogar nur von wenigen Tagen. Eigentlich war ihm nicht mehr zu helfen. Höchstens noch —- durch ein Wunder!
M Vielen Dank für Ihre Einschätzung! Lassen wir nun zum Schluss noch den zu Wort kommen, um den es ja letztlich ging und geht. Michael, Sie haben das Wort.
Mi Also ich verstehe Eure Vorwürfe nicht. Ohne Jesu Eingreifen, oder genauer gesagt ohne seine Aufforderung, aufzustehen, wäre ich noch immer gelähmt. Dass ich jedoch wieder gesund bin, kann nur die Tat Gottes gewesen sein. Nur er vermag, solche Wunder zu vollbringen. Wenn also jemand gegen das Sabbatgebot verstoßen hat, so war das Gott selber. Das könnt Ihr doch Jesus nicht zum Vorwurf machen! Ich bin Dir jedenfalls sehr dankbar, Jesus, und freue mich, dass ich Dich doch noch habe kennenlernen können, nachdem Du gestern einfach so schnell verschwunden warst.
M Ein schönes Schlusswort! Ich danke Ihnen, meine lieben Gäste, für Ihre Teilnahme an unserer Runde und wünsche Ihnen, den Zuschauenden, noch einen schönen Vormittag! Bis zum nächsten Mal!
Eintrag im Tagebuch Michaels, des Geheilten
Liebes Tagebuch,
heute war ein besonderer Tag in meinem Leben. Wie du weißt, liege ich bereits seit nunmehr 38 Jahren gelähmt in der Halle am Teich Bethesda. Doch heute geschah etwas Seltsames: Ich lag, wie seit 38 Jahren, auf meiner Matte. Auf einmal kam ein fremder Mann herein und begann, mit den Kranken zu reden. Und dann kam er auch zu mir. Ich frage mich, was er hier wohl zu suchen hat, denn er sah weder wie ein Kranker aus noch wie ein Arzt. Eher wie ein ganz normaler Jude. Als er mich fragte, wie lange ich schon hier liegen würde, antwortete ich ihm wahrheitsgemäß: Seit 38 Jahren. Er war erstaunt und stellte mir dann die Frage, die ich seit 38 Jahren immer wieder gestellt bekomme: Willst Du gesund werden? Da mich diese Frage so langsam aufregt, fragte ich ihn ein wenig aggressiv zurück: Ja wie denn, wenn ich keinen Menschen habe, der mir dabei hilft! Und dann sagte er einfach: Steh auf, nimm Deine Matte und geh! Ich überlegte, ob er mich auf den Arm nehmen will. Aber irgendwie, weshalb auch immer, vertraute ich diesem Mann. Als ich langsam versuchte, mich aufzurichten, merkte ich auf einmal, dass ich damit gar kein Problem mehr hatte. Verwirrt wollte ich ihn fragen, was er mit mir gemacht habe, aber als ich mich umdrehte, war er nicht mehr da. Das hat mich noch mehr verwirrt. Ich schaute mich um und stellte fest, dass alle mich wie ein Gespenst anstarrten. Ein Arzt, der gerade vorbeikam und mich so dastehen sah, fragte mich neugierig: Waren Sie etwa im Teich gewesen? Aber ich war viel zu geschockt, um ihm zu antworten. Wie im Traum packte ich meine Matte zusammen und lief langsam nach Hause zurück. Und da sitze ich jetzt. Ich muss erst einmal über diesen Tag nachdenken. Noch bin ich ganz verwirrt.
Liebes Tagebuch,
ich melde mich wieder bei dir, wenn ich meine Gedanken wieder geordnet habe.
TEXTLESUNG
Bald darauf war ein jüdisches Fest und Jesus ging hinauf nach Jerusalem. Am Schaftor in Jerusalem befindet sich ein Teich mit fünf offenen Hallen. Auf Hebräisch wird er Betesda genannt. Eine große Anzahl von Kranken lag ständig in den Hallen: Blinde, Gelähmte und Menschen mit erstorbenen Gliedern. Unter ihnen war auch ein Mann, der seit 38 Jahren krank war. Jesus sah ihn dort liegen. Er erkannte, dass der Mann schon lange unter seiner Krankheit litt und fragte ihn: »Willst du gesund werden?« Der Kranke antwortete: »Herr, ich habe keinen, der mir in den Teich hilft, wenn das Wasser sich bewegt. Wenn ich es allein versuche, ist immer schon jemand vor mir da.« Jesus sagte zu ihm: »Steh auf, nimm deine Matte und geh!« Im selben Augenblick wurde der Mann gesund. Er nahm seine Matte und konnte wieder gehen.
Predigt von Pfarrer G. Metzger
„Willst du geheilt werden?“
Und da bricht aus diesem armen Menschen seine ganze Verzweiflung und Enttäuschung heraus: „Herr, ich habe es ja immer wieder versucht; aber jedes Mal war ein anderer schneller als ich!“ Welch eine bedrückende Erfahrung! Und noch bedrückender die Begründung, die er dafür gibt: „Ich habe keinen Menschen, der mich in den Teich bringt! Seit 38 Jahren! Wie sollte ich es denn schaffen, wenn niemand da ist, der mir hilft!“
„Ich habe keinen Menschen!“
Wie viele unserer Mitmenschen, wie viele unter uns erleben am eigenen Leibe, was dieser Mann da herausschreit: Dass sie menschlich verkümmern in einer Gesellschaft, in der der eigene Vorteil, der eigene Erfolg wichtiger ist als die Erfahrung von Gemeinschaft und Menschlichkeit; Menschen, die vereinsamen trotz der Vielzahl von Menschen um sie herum, weil diese sich nur um sich selbst und um das, was nur sie selbst betrifft, kümmern; Menschen, die hilf-los bleiben, weil Hilfsbereitschaft bei uns zunehmend nicht mehr selbstverständlich ist, sondern eher oft verkümmert.
„Ich habe keinen Menschen.“
Jesus lässt diesen Gelähmten am Teich Bethesda erfahren, dass sich mit seinem Kommen und vor allem mit seiner Botschaft von der Liebe gegenüber jedermann und jederfrau, die er nicht nur gepredigt, sondern auch gelebt hat, da Grundsätzliches verändert hat für ihn. Und nicht nur für ihn, sondern für uns alle.
Dass seither für uns alle die Zusage gilt, die auch der King of Pop einmal für einen seiner berühmten Songs verwendet hat:
You are not alone – I am here with you
Though you’re far away – I am here to stay
Etwas frei übersetzt:
Du bist nicht allein. – Ich bin hier bei dir. Auch wenn du weit weg bist, bleibe ich bei dir.
„Ich habe keinen Menschen!“
Und darauf die Zusage Jesu: „Du bist nicht allein!“
Wo Jesus dies gesagt hat? Am Ende des Matthäusevangeliums, im allerletzten Satz: „Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.“
Wir sind nicht allein, weil Jesus bei uns ist und mit ihm die Liebe Gottes. Dieses Nicht-Allein-Sein-Müssen, diese immer neu in unserem Leben zu erfahrende Liebe Gottes befähigt uns wiederum dazu, uns liebevoll anderer Menschen anzunehmen im Sinne von: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.“
Aber zugleich lehrt uns Jesus in dieser Geschichte vom Teich Bethesda auch, was den liebevollen Blick für andere und das liebevolle Tun für sie kennzeichnet: Nämlich die Ehrfurcht vor der Würde des anderen, der Respekt vor seiner Souveränität, selbst wenn er auch noch so hilfsbedürftig sein mag. „Willst du gesund werden?“ Jesus hat diesem Gelähmten seine Hilfsbereitschaft nicht aufgedrängt und ihn dadurch auch nicht mit seiner Hilfe gedemütigt. Er überließ diesem Mann die Entscheidung und nahm sie ihm nicht aus der Hand. Oder anders ausgedrückt: Er hat diesem Kranken, Bedürftigen, trotz seiner Hilflosigkeit sein Recht auf Selbstbestimmung zugestanden. Und genau dies hat diesen Menschen aufgebaut, hat ihm Selbstvertrauen gegeben. Wer ernsthaft helfen will, sollte das nie vergessen.
„You are not alone – du bist nicht allein.“
Gottes Liebe umfängt dich – überall und jederzeit. Dies zu wissen tut gut, tröstet, gibt Zuversicht und Hoffnung. Verwandelt mich – und dich – und durch uns letztlich ganz gewiss auch unsere Welt.