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„Geh aus, mein Herz!“ – EG 503

„Geh aus mein Herz und suche Freud“ – so beginnt eines der bekanntesten Kirchenlieder, das sogar vielen Menschen bekannt ist, die sonst mit der Kirche nicht so viel zu tun haben. Im Laufe der Jahrhunderte mittlerweile zum Volkslied geworden erfreut es sich größter Beliebtheit, nicht zuletzt auch deshalb, weil die Fröhlichkeit der Verse und die Beschwingtheit der Melodie sich ungeheuer ansteckend und beglückend auf uns auswirkt.

„Geh aus mein Herz und suche Freud!“

Ein Lied, das uns daran erinnert, dass wahre Freude ihren tieferen Grund nicht einfach nur in der Abwesenheit von Leid in unserem Leben hat, sondern in unserer Fähigkeit, trotz all des von uns erfahrenen Leids Fröhlichkeit von außen in uns eindringen zu lassen und diese Fröhlichkeit allem Leid zum Trotz dann auch zu leben. Nur, diese Fähigkeit, daran werden wir durch dieses Lied eben auch erinnert, besitzen wir nicht automatisch. Und dass wir sie bekommen, ist auch nicht selbstverständlich. Sie hat, so lehrt uns Paul Gerhard, ihren Ursprung im Glauben, in der Gewissheit, in allem, was uns gerade widerfährt, durch den gehalten und getragen zu sein, dem unsere gesamte Schöpfung ihre Existenz verdankt. Oder, wie es ein ebenfalls recht bekanntes Kirchenlied treffend formuliert: „In dir ist Freude in allem Leide!“, wo es dann zu Beginn der zweiten Strophe heißt: „Wenn wir dich haben, kann uns nicht schaden Teufel, Welt, Sünd oder Tod.“ (EG 398)

„Geh aus mein Herz und suche Freud!“

Der Dichterpfarrer Paul Gerhard hat dieses Lied für seine Frau gedichtet, der gerade diese Freude abhanden zu kommen drohte, weil eines ihrer Kinder gestorben war. An diesem Lied sollte sie sich in ihrer Trauer wieder aufrichten. Und auch für sich selbst hat Paul Gerhard in diesem Lied die schwere Erfahrung des Verlustes eines Kindes zu verarbeiten versucht. Außerdem sind diese Verse von ihm geschrieben worden wenige Jahre, nachdem der dreißigjährige Krieg zu Ende gegangen war, dieser furchtbare Krieg, in dem viele Städte und Dörfer, Felder und Wälder zerstört und unendlich viele Menschen getötet worden waren. Wenn man das weiß, hört man die Verse dieses Liedes noch einmal ganz anders.

„Geh aus mein Herz und suche Freud!“

„Geh aus dir heraus, mein Herz, und verharre nicht in der Trostlosigkeit des Kummers um dein verlorenes Kind!“

„Geh aus dir heraus, mein Herz, und verbittere nicht unter dem Eindruck der Grausamkeiten, der Zerstörung und der Feindseligkeiten dreier furchtbarer Kriegsjahrzehnte.“

Auch wir müssen bei all dem Schönen, das wir erleben dürfen, immer wieder auf Erfahrungen blicken, die uns das Leben schwer machen, die uns bedrücken, die uns mit Angst und Sorge erfüllen, in denen wir uns enttäuscht oder verletzt fühlen. Wir haben im Laufe unseres Lebens lernen müssen, dass dieses Leid unausweichlich eben auch ein Teil unseres menschlichen Lebens ist. Um diesen Teil weiß auch der Beter des 23. Psalms, wenn es dort heißt: „Und ob ich schon wanderte im finstern Tal.“ Und manche dieser Täler können bei uns schon ganz schön dunkel sein! Und dann?

„Geh aus mein Herz und suche Freud!“

Das ist mehr als nur eine Aufforderung zum Betrachten der Wunder der Natur! Das ist eine Anleitung zum glücklichen Leben trotz allen Leids, eine Anleitung in zwei Schritten

Der 1. Schritt: Geh aus dir heraus, mein Herz!

Wir kennen das ja aus eigener Erfahrung: Wenn wir etwas für uns Schweres erlebt haben, dann passiert es leicht, dass wir uns deshalb immer mehr in uns selbst zurückzuziehen, dass wir immer verschlossener werden. Unser Blick ist nach Innen gerichtet, auf das, was uns betrübt, und bleibt darin dann auch unweigerlich gefangen. Nur: Dadurch wird für uns alles letztlich nur noch schlimmer.

Deshalb die Aufforderung: Geh aus dir heraus, mein Herz. Verschließe dich nicht! Verschließe dich nicht dem, was auch noch zu deinem Leben dazugehört. Nimm die Scheuklappen ab, die dir den Blick nach außen versperren. Nimm wahr, dass dein Leben größer, vielfältiger, umfangreicher ist als das, was dich gerade quält oder traurig macht.

Ich weiß von mir selbst, dass diese Änderung der Blickrichtung oft gar nicht leicht fällt, dass es oft einfacher ist, zu klagen und zu trauern. Nur, ändern können nur wir selbst etwas daran, indem wir uns selbst dazu auffordern, nach außen zu blicken, also weg von uns selbst und weg von dem, was uns belastet.

Geh aus, mein Herz! Das ist der 1. Schritt.

Und der 2. Schritt: Und suche Freud!

Freude ist nicht einfach so da. Sie will von uns gesucht und gefunden werden. Oder anders gesagt: Freude kann nur wahrnehmen, wer für sie einen Blick hat, wer ernsthaft die Absicht hat, sie zu finden, sie wahrzunehmen.

Natürlich hätte Paul Gerhard an der Klage über den Tod seines Kindes oder über die grausamen Folgen des dreißigjährigen Krieges hängen bleiben können.

Stattdessen sucht er nach dem, was ihn dennoch mit Freude erfüllen könnte. Und macht dann deutlich:

Wenn du erst einmal dazu bereit bist, aus dir heraus zu gehen und das in den Blick zu nehmen, was dich froh zu machen vermag, dann wirst du unendlich viel Frohmachendes in deinem Leben entdecken können.

Dann wird es immer Neues geben, worüber du dich freuen kannst.

Schau doch einfach nur einmal in die Natur! Wie scheinbar tote Äste ergrünen, erblühen und Früchte tragen.

Oder die Farbenpracht der Blumen!

Höre doch einfach nur einmal auf den Gesang der Vögel!

Beobachte das Zusammenleben von Mensch und Tier, das Wechselspiel in der Natur, das Wunder von Saat und Ernte, von Wasser, Luft, Licht!

Freue dich über diese Schöpfung und freue dich über deren Schöpfer, weil er auch dein Schöpfer ist.

Es gibt so vieles in der Natur wahrzunehmen, was uns mit Freude erfüllen kann.

Aber nicht nur in der Natur! In unserem ganzen Leben!

Das Wunder von Lieben und Geliebtwerden, von sich ergänzender Individualität und Gemeinschaft, von sich gegenseitig Helfen und von sich helfen Lassen; die Gaben und Fähigkeiten, die wir besitzen; die Chance von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft; die Wahrnehmung von Kunst in vielfältigster Form. Alles letztlich Inhalte, Wahrnehmungen, deren Existenz wir Gott, unserem Schöpfer, verdanken.

Und nicht zuletzt eben auch das Vertrauen: Meine Zeit mit all dem, was dazugehört bis hin in die Ewigkeit, steht in Gottes Händen.

Auf ihn kann ich mich verlassen, egal, was kommen mag. Ihm kann ich immer vertrauen.

„Geh aus mein Herz und suche Freud!“

Eine einfach zu verstehende Anleitung zum glücklichen Leben – trotz allem Leid.

Unser Glaube gibt uns den Mut und die Kraft und den Elan dazu, aus uns herauszugehen, um uns zu verlassen – auf Gott.

Und zugleich öffnet er uns die Augen für all das Erfreuliche, mit dem er uns täglich neu beschenkt.

So bleibt uns zum Schluss nur noch, ihm dafür zu danken – mit Herzen, Mund und Händen und fröhlich zu singen:

Ich selber kann und mag nicht ruhn, des großen Gottes großes Tun erweckt mir alle Sinnen; ich singe mit, wenn alles singt, und lasse, was dem Höchsten klingt, aus meinem Herzen rinnen, aus meinem Herzen rinnen.  (EG 503,8)

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