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„So soll es bei Euch nicht sein!“ – Markus 10 Vers 35ff

Zu erfahren, dass es unter den Jüngern Jesu offensichtlich recht menschlich zuging, und das mit so manchen Licht-, aber vor allem auch mit so manchen Schattenseiten, finde ich sehr tröstlich. So hören auch von massiven Spannungen im Jüngerkreis. Da heißt es:

Die zehn übrigen Jünger hörten das Gespräch und begannen, sich über Johannes und Jakobus zu ärgern.

Was war passiert? Was hatte die Stimmung untereinander so derart getrübt?

Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, wandten sich an Jesus und sagten: »Meister, wir wollen, da du uns einen Wunsch erfüllst.« Jesus antwortete: »Welchen Wunsch soll ich euch denn erfüllen?« Sie erwiderten: »Mach, dass wir einer rechts und einer links von dir sitzen dürfen in deiner Herrlichkeit.«

Davon blieb also auch der Kreis um Jesus nicht verschont: Rangstreitigkeiten, übersteigertes Geltungsbedürfnis. Der Wunsch einzelner, mehr, größer, wichtiger zu sein als die übrigen. Schon im vorigen Kapitel berichtet der Verfasser des Markusevangeliums davon, dass dieses Thema unter den Jüngern aufgekommen war. „ Wer ist der größte, wer ist der wichtigste von uns?“ Aber als Jesus sie damals darauf ansprach, wagte keiner von ihnen, den Mund aufzumachen.

Ganz anders in dieser Situation: Jakobus und Johannes äußern vor allen anderen Jesus gegenüber ihr Ansinnen, im künftigen Reich Gottes die Plätze an seiner Seite einnehmen zu wollen. Eine gefährliche Situation! In einer Zeit, in der die Angriffe von außen immer mehr zunehmen, in der also die Geschlossenheit der Jesus-Gruppe gefragt ist, droht diese aufgrund des Geltungsbedürfnisses, wir könnten auch sagen, aufgrund des Ehrgeizes einzelner auseinanderzubrechen.

Immerhin, jetzt ist das Thema auf dem Tisch. Jetzt kann es von Jesus auch offen angesprochen werden. Und ich finde es faszinierend, wie er dies tut, ohne die beiden Jünger vor den anderen fertigzumachen. Wie er es schafft, ein Auseinanderbrechen des Kreises zu verhindern und zugleich seinen Zusammenhalt zu stärken.

Zunächst einmal gibt er ihnen zu bedenken, ob sie sich in ihren eigenen Möglichkeiten mit ihrem Ansinnen nicht doch etwas zu sehr überschätzen.

Jesus erwiderte: »Ihr wisst nicht, worum ihr bittet. Könnt ihr den Kelch des Leidens austrinken wie ich? Könnt ihr mit der Taufe des Todes getauft werden wie ich?«

Sie haben die Möglichkeit zurückzurudern, zu sagen: „So haben wir das noch gar nicht gesehen. Du hast Recht. Nein, so wie du, das werden wir nie können.“

Dann wäre die ganze Sache erledigt gewesen.

Aber die beiden reagierten anders.

Sie antworteten: »Ja, das können wir.«

Sie sind entschlossen, Jesus bis ins Letzte nachzufolgen. Alles, was ihnen etwas bedeutet hatte, Haus, Familie, Arbeitsplatz, Freundeskreis hatten sie zurückgelassen, um mit ihm von Ort zu Ort zu ziehen ohne feste Bleibe, ohne Unterkunft, ohne feste Einkünfte, ohne jegliche persönliche Sicherheiten; hatten alles aufgegeben, nur um bei ihm sein und von ihm lernen zu können. Sie hatten wohl tatsächlich keine Zweifel daran, Jesus bis ins Letzte nachzufolgen zu können. Das war ihre ehrliche Überzeugung.

Was wäre passiert, wenn Jesus ihnen widersprochen hätte: „Nein, das könnt ihr nicht! Ihr habt ja gar keine Ahnung, was für mich Kelch des Leides und Taufe des Todes bedeuten wird.“

Sie hätten seine Zurechtweisung zu diesem Zeitpunkt gewiss nicht verstanden. Übrigens auch die anderen Jünger nicht. Sie alle hätten sich in diesem Moment nie vorstellen können, dass sie ihren Meister bei dessen Verhaftung im Garten Getsemane fluchtartig verlassen und alleine zurücklassen werden. Hätte Jesus ihr „Nachfolgen-Können“ in Zweifel gezogen, hätte er ihnen allen den Mut und die Kraft zum „Nachfolgen-Wollen“ genommen.

Und er hätte zugleich die beiden vor den übrigen Zehn völlig bloßgestellt.

Er tut es nicht, sondern verweist vielmehr auf den, der die „Macht“ dazu hat und als dessen lediglich „Bevollmächtigter“ er sich versteht.

Da sagte Jesus: »Den Kelch des Leidens werdet ihr zwar austrinken wie ich und mit der Taufe des Todes werdet ihr getauft werden wie ich. Aber die Plätze rechts und links von mir habe nicht ich zu vergeben. Die bekommen diejenigen, die Gott dafür vorgesehen hat.«

„Rangstreitigkeiten, Geltungsbedürfnis soll für euch kein Thema sein. Überlasst das Ganze getrost Gott. Der wird keinen von euch zu kurz kommen lassen!“

Jesus hat die beiden Zebedäus-Brüder zu Recht gewiesen, wie gesagt, ohne sie vor den anderen bloß zu stellen. Aber die anderen sind jetzt dafür sauer. Der Vorstoß der beiden hat sie verärgert. Und da nützt Jesus diesen Moment, um seine Jünger zu lehren, um durch seine Lehre den bei ihnen vorhandenen Ärger herauszunehmen und sie zugleich noch fester miteinander zu verbinden.

Jesus rief sie zu sich und sagte zu ihnen: »Ihr wisst, dass die angesehensten Herrscher ihre Völker unterdrücken und die Großen dieser Welt die Kleinen ihre Macht spüren lassen. Nur, so soll es bei euch nicht sein! Sondern: Wer bei euch groß sein will, der sei bereit zum Dienen, und wer unter euch der erste sein will, der sei der Knecht aller!

Nicht die Macht des Herrschens und Unterdrückens macht einen Menschen groß, wichtig, bedeutend, sondern seine Fähigkeit, mit anderen und für andere zu leben und sich mit seinen Gaben und Stärken in den Dienst der Allgemeinheit zu stellen. „Kopiert nicht das Machtgehabe weltlicher Herrscher. Es führt doch nur zu Unterdrückung und Freiheitsberaubung“ – und da behaupte jemand, Jesus hätte sich nie zu Fragen der Politik geäußert!

Auch heute hat niemand das Recht, Menschen zu unterdrücken oder ihnen ihre Freiheit zu nehmen, erst recht nicht, wie wir dies gerade in grausamster Weise miterleben müssen, sie zu überfallen, ihre Städte zu zerbomben, sie und ihr Land zu vernichten. Bei solchen „Machhabern“ muss alles unternommen werden, um ihnen den Boden, auf dem sie Stand suchen, unter ihren Füßen wegzuziehen, damit sie fallen. Dies gilt für all die politisch Verantwortlichen genauso wie für die kirchlichen. Deshalb ist es mir unverständlich, weshalb der höchste russisch-orthodoxe Würdenträger, der Patriarch von Moskau, sich nicht im geringsten dazu äußert zu diesem brutalen, mörderischen Krieg und zu denen, die ihn betreiben. Wer dazu schweigt, macht sich mitverantwortlich an Tod und Zerstörung.

Vielmehr: Diejenigen, die für sich bekennen, Jesus nachzufolgen, sollen sich dadurch deutlich erkennbar machen, dass sie nicht bereit sind, der Unterdrückung und der Unfreiheit zu dienen, sondern den Menschen, für Freiheit und Gerechtigkeit für alle, gerade auch ganz konkret heute für diejenigen, die aus ihrer Heimat fliehen, weil sie um Leib und Leben fürchten müssen. Dass wir wahrnehmen, was wir für sie tun können, und dass wir das dann auch tun.

Unsere Nächsten zu lieben, so wie sie es gerade brauchen.

Das war auch für Jesus neben der Liebe zu Gott das wichtigste Gebot, das er seinen Jüngern nicht nur gelehrt, sondern bis in seine letzten Konsequenzen hinein vorgelebt hat. Folgerichtig schließt er so das Konflikt- und Lehrgespräch mit seinen Jüngern mit den Worten:

Seht: Auch der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich bedienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben einzusetzen zur Befreiung für viele.«

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