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„Wie kann diese Frau nur?!“ – Mk 14,1f

Eine Frau im Kreuzfeuer der Jünger Jesu

Es waren noch zwei Tage bis zum Passafest und den Tagen der Ungesäuerten Brote. Und die Hohenpriester und Schriftgelehrten suchten, wie sie ihn mit List ergreifen und töten könnten. Denn sie sprachen: Ja nicht bei dem Fest, damit es nicht einen Aufruhr im Volk gebe. Mk 14, 1+2

Eine kritische Situation: Die Hohenpriester und Schriftgelehrten gehen davon aus, dass Jesus nach Jerusalem kommen wird, und treffen Vorbereitungen zum entscheidenden Schlag gegen ihn. Oft hatten sie sich über ihn beraten. Jetzt endlich wollen sie die Sachen endgültig hinter sich bringen: Jesu Tod ist nunmehr beschlossene Sache. Und damit beginnt die „heiße Phase“ der Passionsgeschichte. Es geht nur noch darum, einen guten Plan auszuarbeiten.

Zeitangabe: 2 Tage vor dem Passafest. Das heißt: Wer irgend konnte, machte sich auf den oft beschwerlichen Weg nach Jerusalem auf, um dort in Gemeinschaft mit vielen Gläubigen und vor allem im Tempel des Auszugs ihrer Vorfahren aus Ägypten zu gedenken. Aus allen Teilen Israel trafen sie sichdort. Die Straßen Jerusalems quollen über von Menschenmassen. Herbergswirte, Andenkenverkäufer und Opfertierhändler hatten Hochsaison. Aber auch die Bettler und die Krüppel. In Scharen fielen sie über die Pilgernden her, zu deren frommen Pflichten es gehörte, Almosen unter ihnen zu verteilen.

Auf jeden Fall: Bei solchen Menschenmassen, die sich in diesen Tagen in Jerusalem befanden, schien es nicht ratsam zu sein, Jesus gegenüber etwas zu unternehmen, zumal, da ja damit gerechnet werden musste, dass sich unter diesen vielen Menschen auch eine beträchtliche Anzahl von Anhängern und Anhängerinnen Jesu befinden würde, was dann zu einem Aufruhr hätte führen können.

Unter all diesen Menschen, die Richtung Jerusalem strömten, befanden sich tatsächlich auch Jesus und seine Jünger. Nach seinem triumphalen Einzug einige Tage zuvor war ihm wohl klar, was er von seinen Gegnern zu erwarten hatte. Wir erfahren, dass er sich bis kurz vor dem Fest bei Freunden in der näheren Umgebung Jerusalems, in Bethanien, aufhielt.

Und als er in Bethanien war im Hause Simons des Aussätzigen und saß zu Tisch, da kam eine Frau, die hatte ein Glas mit unverfälschtem und kostbarem Nardenöl, und sie zerbrach das Glas und goss es auf sein Haupt. Da wurden einige unwillig und sprachen untereinander: Was soll diese Vergeudung des Salböls? Man hätte dieses Öl für mehr als dreihundert Silbergroschen verkaufen können und das Geld den Armen geben. Und sie fuhren sie an. Mk 14,3-5

Das muss man sich einmal vorstellen: Da liegen sie alle gemütlich um den Tisch, und plötzlich tritt eine unbekannte Frau hinter Jesus, zerbricht, ohne ein Wort zu sagen, ein Glasfläschchen und gießt Jesus dessen Inhalt über den Kopf – reines, unverdünntes Nardenöl aus Indien. Das kostete damals ein Vermögen! Ein Tagelöhner müsste dafür etwa ein Jahr lang arbeiten. „Welch eine Verschwendung! Wievielen Armen hätte mit diesem Geld geholfen werden könne!“ Eine Frau im Sperrfeuer der Kritik der Jünger. Ich kann mir so richtig vorstellen, wie die Frau unter diesen Angriffen immer kleiner wurde und mehr und mehr davon überzeugt war, alles falsch gemacht zu haben, wo sie es doch hatte recht machen wollen für Jesus. Vielleicht war sie den Tränen nahe vor lauter Scham und Enttäuschung.

Erwartungsvoll blickten die Jünger auf den soeben Begossenen, von dem mittlerweile ein geradezu penetranter Wohlgeruch ausging. Mit welchen Worten wird er die Unbekannte zurechtweisen? Denn dass er dies tun würde, daran bestand für sie überhaupt keinen Zweifel.

Und sie kam, die Zurechtweisung Jesu, wenn auch ganz anders, als sie es erwartet hatten:

Jesus aber sprach: Lasst sie in Frieden! Was betrübt ihr sie? Sie hat ein gutes Werk an mir getan. Denn ihr habt allezeit Arme bei euch, und wenn ihr wollt, könnt ihr ihnen Gutes tun; mich aber habt ihr nicht allezeit. Sie hat getan, was sie konnte; sie hat meinen Leib im Voraus gesalbt für mein Begräbnis. Wahrlich, ich sage euch: Wo das Evangelium gepredigt wird in aller Welt, da wird man auch das sagen zu ihrem Gedächtnis, was sie jetzt getan hat. Mk 14, 6-9

„Lasst sie in Frieden! Sie hat ein gutes Werk an mir getan.“

Weshalb wird diese Frau von Jesus so hervorgehoben?

Sie spricht kein Wort. Sie tut nur etwas: Sie zerbricht ein Glasfläschchen mit Nardenöl und salbt damit Jesus. Und sagt damit mehr, als sie mit Worten hätte sagen können: „Du bist der der Christus, der Gesalbte Gottes, der Messias.“ Ein wortloses Bekenntnis, indem sie tut, was sie glaubt. Und dafür gibt sie alles, was sie gerade hat. Nichts behält sie für sich zurück, nicht einmal das Glasfläschchen. Selbst dies zerbricht sie. Ja, sie hat wirklich getan, was sie konnte. Mehr war ihr nicht möglich.

Ein gutes Werk hatte sie vollbracht an Jesus, der so vielen Menschen wohlgetan hat; eine Wohltat, die Jesus zugleich auf seine nahe Zukunft bezieht, mit der sie ihn, ohne es vielleicht zu wissen, stärkt und ermutigt für das, was vor ihm liegt:

„Sie hat meinen Leib im Voraus gesalbt für mein Begräbnis.“ Und dann: „Arme habt ihr allezeit bei euch, mich aber nicht. Sie hat viel besser als Ihr erkannt, was in diesem Moment das Richtige für mich ist. Wahrlich ich sage Euch: Wo das Evangelium gepredigt wird in aller Welt, da wird man auch das sagen, was sie jetzt getan hat.“

Fragen wir doch einmal:

Weshalb hat diese Frau wohl entgegen der Wertschätzung Jesu und entgegen seiner Verheißung in der Überlieferung unserer Kirche praktisch keine Rolle gespielt?

Doch wohl vor allem deshalb, weil die die beiden Geschlechter gleichberechtigt aufnehmende, ja die Gleichberechtigung ein Stück weit propagierende Botschaft Jesu durch eine von Männern geführte, von Männern beherrschte Kirche gezielt korrigiert worden ist. Bereits die übrigen Evangelisten außer Matthäus änderten diese wohl bei Markus ursprüngliche Fassung der Erzählung immer mehr ab: Bei Lukas wird diese Frau zu einer „Sünderin“, die Jesus lediglich die Füße salben und dann mit ihrem langen Haar abtrocknen darf; bei Johannes wird sie als Maria, die Schwester des Lazarus, bezeichnet, und auch sie darf Jesus nur an die Füße. Der Kopf Jesu war mittlerweile für die Frau tabu! Und außerdem fehlt bei diesen beiden auch die Aufforderung Jesu zu ihrem bleibenden Gedächtnis. Immer stärker wird das Bild dieser Frau in der Überlieferung verfälscht bis hin zu der Behauptung, es wäre jene als „große Sünderin“ bezeichnete stadtbekannte Prostituierte gewesen.

Welch wichtige Bedeutung die Frauen in der Botschaft der Bibel und vor allem in der Botschaft Jesu tatsächlich innehaben, lernen wir heute erst wieder ganz langsam, oftmals noch viel zu langsam! Nichtwahr: Auf dem Petrusbekenntnis baute die gesamte kirchliche Hierarchie auf, während das Christusbekenntnis der Martha oder eben dieser unbekannten Frau in der Kirche unbeachtet geblieben ist – trotz der ganz klaren Aufforderung Jesu.

Jesus hätte gewiss nicht eine Kirche der Männer gewollt, genauso wenig wie eine Kirche der Frauen. Er hat uns vielmehr gelehrt, einander so sehen zu lernen, wie Gott uns ansieht: Ohne Unterschiede, ohne Privilegien, liebevoll annehmend, die Würde und den Wert jedes und jeder einzelnen respektierend.

So verstanden wäre die Kirche eine echte Alternative zu dem, was bei uns in unserer Gesellschaft  nach wie vor abgeht im Bezug auf die Gleichberechtigung der Geschlechter, wäre sie eine Bereicherung für diese Welt, aber eben nur, wenn sie bereit wäre, sich bewusst und eindeutig nach innen wie auch nach außen in die Nachfolge dieses Gesalbten, des Christus, nach dem sie sich ja nennt, zu begeben.

Wie ich das konkret meine?

Im Blick auf diese Geschichte von der Salbung in Betanien

denke ich an all die vielen Menschen, die wir oft gedankenlos übersehen und so alleine lassen; deren innere Situation uns gleichgültig ist; über deren Hilfsbedürftigkeit wir oft viel zu lange nachdenken statt zu tun, was uns unser Gefühl sagt, so wie eben jene Frau damals Jesus gegenüber;

denke ich an unsere oft lieblosen, weil verständnislosen Reaktionen Menschen gegenüber, die auf ihre Weise anderen dienend das Rechte tun wollen und dabei von uns recht lieblos kritisiert oder gar ausgelacht werden;

denke ich an die Zurechtweisung Jesu, die ja genauso auch für uns ihre Gültigkeit haben kann, derentwegen wir uns jedoch nicht schämen müssen, weil wir ihrer immer wieder neu bedürfen, um auf demselben Weg zu bleiben wie Jesus;

denke ich daran, dass es wohl bei Liebesdiensten immer auch dazugehört, ihretwegen von anderen kritisiert und klein gemacht zu werden, was uns jedoch nicht davon abhalten darf, sie dennoch zu tun um Gottes und um der Menschen willen;

denke ich nicht zuletzt auch an die Zusage Jesu: Ihr seid das Salz der Erde. Ihr seid das Licht der Welt. Dass wir gemeinsam etwas leben und so weitergeben können von dem, was die Welt braucht und was ihr wohl- und nottut, in der Nachfolge unseres Herren Jesu, dem Gesalbten, dem Christus Gottes.

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